25. Oktober: Ich hatte ja nie gedacht, dass das Wort "Ferien" für mich jemals wieder eine Rolle spielen könnte. Das "Dasain-Fest" hat allerdings meine Tätigkeit in Baseri mit fast zwei Wochen Ferien überraschend unterbrochen. Eine Tagesreise war nötig um ins 150 km entfernte Kathmandu zu gelangen.
Nun sitze ich seit einigen Tagen hier im Hotel Horizon und der gute Mann, der die Schulmöbel anfertigen soll, lässt sich nicht blicken, da derzeit die Vorbereitungen für das Fest wohl wichtiger sind als die Geschäfte. Außerdem funktioniert das öffentliche Leben durch die Benzinknappheit nur noch beschränkt. Mein geplanter Aufenthalt in Pokhara rückt dadurch immer mehr in die Ferne.
Ich verbringe die Tage mit Einkäufen für die Schule, wozu ich allerdings die Hilfe von Tikka brauche, mit dem ich dann nach langem Suchen auch ein kleines Geschäft entdecke, das einen CD-Player mit Batteriebetrieb verkauft. So was ähnliches wie Media-Markt gibt es halt nicht. Ab und zu gönne ich mir Pizza, Pasta oder zum Frühstück einen guten Cappucino. Im Hotel werde ich beim Personal in der Küche verköstigt, wo es - wie könnte es anders sein - täglich Dhaal Bhaat gibt. Inzwischen esse ich es wie die Nepali mit den Fingern ohne mich dabe vollständig zu bekleckern. Mit manchen Touristen komme ich auch ins Gespräch, von denen ich besonders Josep Carrizo aus Lissabon erwähnen möchte. Er betreibt eine eigene Firma im IT-Bereich, hat unter Freunden und Firmen rund 7000 € gesammelt, und ist jetzt hier unterwegs um das Geld in verschiedenen Projekten anzulegen. Wer ein wenig Spanisch versteht kann in seinem Blog www.josepcarrizo nachschauen was er alles macht.
Am 23. Oktober sind die wichtigsten Feiertage vorbei und am 24. sollen die Busse auch wieder verkehren. Krishna hat mir empfohlen nicht wieder die gleiche Strecke zurückzufahren. Es gibt eine direkte Busverbindung nach Buddathum und von hier soll es laut Krishna einen ziemlich ebenen, eineinhalbstündigen Weg nach Baseri geben. Also packe ich zuversichtlich einen CD-Player samt Zubehör und einige Bücher in meinen Rucksack. Eigentlich wollte ich diesmal mit leichtem Gepäck reisen, aber jetzt sind es doch wieder 17 kg. Die Busfahrt von sieben bis siebzehn Uhr ist wieder alles andere als ein Vergnügen. Da ich früh dran bin bekomme ich zwar einen Sitzplatz, doch im Gegensatz zu den Nepali muss ich schräg auf meinem Platz sitzen und meine langen Beine immer auf den Mittelgang stellen. Der zweite Teil der Strecke entpuppt sich wieder als übelste Schotterpiste die zudem fast permanent an steilen Abhängen verläuft. Der Bus ist mittlerweile so überfüllt, dass mindestens fünfzehn Personen auf dem Dach sitzen müssen. Das ist zwar seit einigen Jahren verboten, doch angesichts der Engpässe drückt die Polizei ein Auge zu.
Zufällig sitzt Swagat, ein Schüler der achten Klasse mit seiner Mutter im Bus vor mir. Von Buddathum aus werden wir also gemeinsam nach Baseri laufen und so brauche ich mir über den Weg keine Gedanken zu machen. Sie wissen auch eine Abkürzung, doch der Weg führt nun steil in Treppen bergauf, genauso wie ich es mir nicht vorgestellt habe. Eine Horde von Affen, vermutlich auf dem Weg zum Schlafplatz, kreuzt unseren Weg und schon wird es dunkel. Im Schein unserer Lampen geht es nun eng und steil abwärts und unten hört man einen Gebirgsbach rauschen. Ich bin froh über meine zwei Zusatzbeine, wie die Nepali über Trekkingstöcke spotten, während Swagat und seine Mutter in Sandalen ganz sicher vorangehen. Nachdem der Bach überquert ist steigen wir auf der anderen Talseite durch Reisterassen wieder bergauf. Der Weg ins Paradies ist lang und schwer.
Kurz nach neuzehn Uhr sind wir da und kaum habe ich den Rucksack meiner Unterkunft abgestellt, werde ich schon von einem Nachbarn zum Essen eingeladen. Nach einer Tasse Tee zum Frühstück und drei Äpfeln unterwegs würde ich liebend gerne zusagen, doch Bhaahini hat sicher auch schon gekocht. Bei ihr sitzen noch die zu Besuch angreisten Verwandten vor dem Haus und ich bekomme mein Abendessen, Bhaat ohne Dhaal, dazu hat die Zeit heute nicht gereicht. Auch Bhaahinis Mann ist nach einem sechsmonatigen Krankenhausaufenthalt zurück, aber er humpelt immer noch mühsam an seinen Krücken.
Zu Dasain ist es ein hinduistischer Brauch, dass die/der Älteste im Haus den Familienmitgliedern, aber auch allen anderen Besuchern im Haus ein Tika gibt. Während er einen Klecks rot gefärbten Reis auf die Stirn drückt spricht der Tikageber Glück- und Segenswünsche. Männer bekommen dann noch ein paar Reissprossen hinters Ohr gesteckt, Frauen ins Haar, ein paar kleine Geldscheine in die Hand gedrückt und noch eine Kleinigkeit wie einige Kekse, Bonbons oder einen Apfelschnitz zum Essen. Den nächsten Tag verbringe ich in der Nachbarschaft mit Tika empfangen, Tee trinken und schwatzen, sofern jemand englisch spricht. Da es schön warm ist und ich schwitze, läuft mir der rote Farbstoff irgendwann ins Gesicht und über die Nase. Ich fühle mich wie Rudolf, das Rentier, aber das kennt hier keiner.
Mit Manish und einigen Freunden besuche ich tags darauf das Endspiel eines lokalen Fußballturniers in einem Nachbardorf. Was sich so einfach anhört, setzt allerdings einen anderthalbstündigen Fußmarsch voraus, immer schön bergauf bergab. Der Fußballplatz ist eine staubige Sandfläche und es müssen mindestens ein halbes Dutzend Ersatzbälle bereitliegen, denn hinter einer Seitenlinie geht es steil bergab. Das ganze Dorf ist versammelt und auch viele Besucher sind da, die für dieses Ereignis einen langen Fußmarsch hinter sich gebracht haben. Als einziger Fremder stehe ich etwas im Mittelpunkt und einer der Dorfältesten bittet mich auf die "überdachte Tribüne". In der Halbzeitpause lädt er mich zu einem Drink ein, doch als er dann mit einem Plastikkrug auftaucht, weiß ich worauf das hinauslaufen soll. Nach einem großen Glas Rhaksi lasse ich den Becher hinter meinem Rücken verschwinden und lehne auch das freundliche Angebot ab, bei ihm zu nächtigen.