LADAKH

Nach einem nicht ganz reibungslosen Flug von Kathmandu über Delhi nach Leh – zuerst kommt mein Rucksack nicht bei der Gepäckausgabe in Delhi an und dann verpasse ich nach einer schlaflosen Nacht auf dem Indira Gandhi Airport fast noch meinen Flug – treffe ich am 24. Mai morgens um acht in Leh ein. Die ersten Tage vergehen zunächst mal mit Ausschlafen, Gewöhnung an die rund viertausend Höhenmeter, Besichtigung der Sehenswürdigkeiten wie Tsemo Gompa, Königspalast, Shanti Stupa oder Main Bazar, der schon vor zwei Jahren eine Baustelle war. Auch die vierstündige Wanderung zwischen Leh und Saboo mache ich wieder wie bei meiner ersten Reise hierher vor zwei Jahren.

 

Am 27. Mai treffen Christina Karrer aus Kempten und Isolde Walter aus Altusried in Leh ein. Christina war 1995 zum ersten Mal in Ladakh und ist gespannt darauf, Altbekanntes wieder zu sehen und Neues zu entdecken. Isolde ist dagegen seit zwanzig Jahren hier regelmäßig zu Besuch, wobei sie einen großen Teil ihrer Zeit hier mit organisieren, planen und Kontaktpflege für die Tibet-Initiative-Kempten verbringt. Seit einem Jahr etwa bin ich auch Mitglied der Initiative und daher findet unser Zusammentreffen hier nicht ganz zufällig statt und die folgenden Tage werden im Zeichen der Tibet-Initiative stehen.

Am 29. Treffen wir Topgyal Tsering, der hier vor Ort dafür sorgt dass unsere Spendengelder auch richtig eingesetzt werden. Dazu ist es ihm nach vielen bürokratischen Hürden endlich gelungen einen Verein zu gründen über den die Spendengelder jetzt ganz offiziell fließen und abgerechnet werden können. Am Sonntag 29. Mai treffen wir ihn in seinem Haus in Choglamsar, wenige Kilometer von Leh entfernt, denn es gilt eine Reihe von Fragen zum laufenden Abrechnungszeitraum zu klären und wir planen eine viertägige Reise nach Wakha und Saspochey, um zwei Projekte der Tibet-Initiative zu betreuen. In Wakha gibt es ein Nonnenkloster für das der Verein die ärztliche Betreuung finanziert. In Saspochey wird die Winterschule hauptsächlich durch Spendengelder aus der Volksschule Kimratshofen finanziert.  Anschließend genießen wir noch ein gemeinsame Essen, das mich ein wenig an meine Zeit in Nepal erinnert: Dal bhat mit Gemüse, aber hier gibt es zum Nachtisch reichlich frisches Obst.

WAKHA

Topgyal holt uns am Dienstag um acht Uhr in Leh mit einem gecharterten Taxi ab, doch da er arbeiten muss wird uns sein Sohn Namdak auf der Reise begleiten. Die 180 km lange Fahrt nach Wakha unterbrechen wir auf halber Strecke um das bekannte Kloster Lamayuru zu besichtigen. Lamayuru ist eines der ältesten Klöster in Ladakh und liegt auf 3500 m Höhe malerisch an einem Hügel. Schon hier beweist Namdak, der neben seiner Muttersprache Tibetisch auch Ladakhi und Englisch spricht, seine Qualitäten als Guide. Er weiß sehr viel über die Geschichte und Geschichten des Klosters und wenn er etwas erfragen muss ist er ein perfekter Dolmetscher.

Im Kloster Wakha angekommen, werden Isolde und Christina freudig von den Nonnen begrüßt die sie von früheren Besuchen her kennen. Derzeit leben achtzehn Nonnen und fünf Novizinnen im Kloster aber wir werden die meisten erst abends zu Gesicht bekommen. Tagsüber sind viele der Nonnen in den umliegenden Dörfern unterwegs um in Familien „Pujas“ ( buddhistisches Ritual) abzuhalten und so ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Seit mehreren Jahren lebt der Geshe ( buddhistischer Gelehrter) der das Kloster gegründet hat, aus gesundheitlichen Gründen im Süden von Indien und die Nonnen müssen sich selbst um alles kümmern. Bei Krankheiten haben sie zum Beispiel oft keinen Arzt aufgesucht um Geld zu sparen. Daher hat die Tibet-Initiative beschlossen die Kosten für den regelmäßigen monatlichen Besuch eines Arztes zu übernehmen.

AMCHI

Diese Aufgabe hat nun ein Amchi aus dem nahegelegenen Ort Mulbek übernommen den wir am zweiten Tag besuchen. Amchi ist die Bezeichnung für einen traditionellen Heiler, der sein Wissen und Können von seinem Vater gelernt hat und dieses auch wieder an einen seiner Söhne weitergeben wird. Seine wenigen medizinischen Instrumente stammen von seinen Vorvätern und alle Medikamente bereitet er selbst aus pflanzlichen und einigen tierischen Zutaten zu. Für Christina, die in Kempten eine Naturheilpraxis betreibt, ist der Besuch beim Amchi natürlich besonders interessant und die beiden tauschen sich über ihr Fachgebiet auch ausführlich aus.

PADMASAMBAWA MEDITATIONHÖHLE 

Isolde, die schon alle Sehenswürdigkeiten der Umgebung kennt, schlägt vor die Meditationshöhle zu besuchen. Padmasambhava, der als Begründer des Buddhismus in Tibet gilt, soll hier im achten Jahrhundert drei Jahre lang meditiert haben.

Zum Ausgangsort Phokar fahren wir mit dem Taxi und zwei der Nonnen, Palmo und Chodon, begleiten uns. Für sie ist der Ausflug sicher eine willkommene Abwechslung zum klösterlichen Alltag und gleichzeitig eine Pilgerfahrt. Darum haben sie auch ein paar Flaschen Öl für die Butterlampen dabei, die ich in meinen Rucksack packe. 

Der Weg führt uns zunächst an einem kleinen Fluss entlang um dann immer mehr anzusteigen. Das Tal wird allmählich immer enger als uns  eine Gruppe von Männern kommt entgegen kommt die dort oben die Nacht verbracht hat. Von ihnen bekommen wir den Schlüssel für ein Haus oben in der Nähe der Höhle. Große Eisschollen erleichtern uns inzwischen die Überquerung des Flusses doch trockenen Fußes weiter zu kommen wird immer schwieriger, denn das Tal wird zur Schlucht. An manchen besonders engen oder ansteigenden Stellen sind Metallleitern angebracht damit sie überwunden werden können. Inzwischen ist jeder bis zu den Knien nass und daher umso erfreuter als die Schlucht in einem weiten Tal endet und wir an einem sonnigen Platz eine Pause einlegen können. Nach dem Rastplatz schlängelt sich der Weg immer weiter in die Höhe und nach dreieinhalb Stunden stehen wir auf einem lang gezogenen Bergrücken der von felsigen Gipfeln umringt ist. Auf diesem Bergrücken stehen ein kleiner Tempel und das Haus, zu dem wir den Schlüssel haben.

Wir staunen nicht schlecht als Chodon und Palmo, die gleich emsig in der Küche tätig werden, nach kurzer Zeit ein komplettes Mittagessen auffahren. Mitgebrachtes Brot, warm gemachtes Gemüse, Butter und Marmelade und zu guter Letzt noch frisches Obst zaubern sie aus Rucksack und Küche. Dazu gibt es selbstverständlich Tee. So gestärkt gehen wir dann durch die Talsenke zu der mit Höhlen durchzogenen Felswand. Die Meditationhöhle erreichen wir über steile Steinstufen. Der Meditationsraum im Hintergrund der Höhle ist ziemlich schwarz, vorne neben der Öffnung ins Freie, die bis auf halbe Höhe zugemauert ist, stehen verschiedene Buddhastatuen. Der Ausblick auf den riesigen Talkessel und die umliegenden Gipfel ist überwältigend, aber drei Jahre lang möchte ich das doch nicht genießen.

Auf dem Rückweg werden unsere inzwischen trockenen Schuhe zwar wieder nass, aber angesichts des einmaligen Erlebnisses nimmt das jeder gerne in Kauf.

SASPOCHEY

Auf dem Rückweg von Wakha nach Leh machen wir einen Abstecher in das abgelegene Dorf Saspochey in dem die Volksschule Kimratshofen über die Tibet-Initiative-Kempten das Projekt „Winterschule“ finanziert. Die Bedeutung des Begriffs „Winterschule“ möchte ich kurz erklären. 

Von Mitte Dezember bis Ende Februar sind die hiesigen Schulen wegen der Kälte geschlossen. Viele Eltern gehen auch zu dieser Zeit zum Arbeiten und die Kinder sind daher sich selbst überlassen und zweieinhalb Monate zusätzlicher Ferien sind aus pädagogischer Sicht natürlich auch verlorene Zeit. Daraus hat sich die Idee entwickelt, den Kindern einen durch Sponsorengeld finanzierten Unterricht zu bieten, gänzlich unabhängig vom offiziellen Schulbetrieb. Für diese Zeit müssen dann geeignete Lehrer gefunden wer, was nicht ganz einfach ist, denn die staatlichen Lehrkräfte werden in den Ferien meist zu Weiterbildungen und Prüfungen verpflichtet. Außerdem gilt es auch geeignete Räumlichkeiten zu organisieren, die entweder durch die Sonne gewärmt werden wie z.B. Gewächshäuser, oder die beheizbar sind. Eine von der Kimratshofener Schule finanzierte große Glaswand an der Schule, durch die der dahinterliegende Raum gewärmt wurde, ist 2011 von einer Schlammlawine zerstört worden und das danach genutzte Gewächshaus des Klosters hat seit letztem Jahr ein defektes Dach. Inzwischen findet die Winterschule wieder im Vorbau des Schulhauses statt, der durch die Sonne und gegebenenfalls durch einen Ofen gewärmt wird.

Zu einer kurzfristig angesetzten Versammlung erscheinen die beiden chairman des Projektes, Lehrer, Bürgermeister, zahlreiche Eltern und sogar der neue Schulleiter nimmt die zweistündige Fahrt von Leh her auf sich, da er sich sehr für die Winterschule einsetzt. Im Wesentlichen sind zwei Dinge zu klären: ist es möglich eine dritte Lehrkraft für die zwanzig Schüler aus zehn Jahrgangsstufen anzustellen und ist es möglich die Eltern finanziell an den Kosten zu beteiligen.

Am nächsten Vormittag statten wir der Schule noch einen Besuch ab. Die Schule hat derzeit nur sechzehn Schüler, da manche Eltern ihre Kinder lieber in anderen Schulen unterbringen, denn der Ruf der Schule war in den vergangenen Jahren wohl nicht gut. Aber vielleicht kann das der neue, offensichtlich sehr engagierte Schulleiter ändern. Anschließend machen wir uns auf die Rückfahrt nach Leh.

CHOGLAMSAR

In Indien befanden sich nach Angaben des UNO Hochkommissariats für Flüchtlinge im Dezember 2012 mehr als 100‘000 tibetische Flüchtlinge. Indien hat die Flüchtlingskonvention von 1951 und das Zusatzprotokoll von 1967 nicht unterschrieben. Das Ausländergesetz enthält den Begriff «Flüchtlinge nicht und behandelt diese als Ausländerinnen und Ausländer. Dementsprechend ist der Aufenthalt im Land ohne gültige Reise- oder Aufenthaltspapiere nicht erlaubt. Flüchtlinge ohne die notwendigen Dokumente klassifizieren sich als illegale Migrantinnen und Migranten und riskieren theoretisch eine Rückführung. (Zitat: Schweizerische Flüchtlingshilfe)

Südlich von Leh bekamen tibetische Flüchtlinge allerdings von der indischen Regierung ein Stück Brachland zugewiesen, das sich zu einem florierenden Teil der Stadt entwickelt hat und in dem 6 000 Menschen leben die Sicherheit selbst verwalten. Dazu haben sie die Siedlung in 12 sogenannte Camps aufgeteilt, die jeweils für ein Jahr von gewählten Groupleadern verwaltet werden. Sie sind auch für Schulen, Winterschulen und Kindergärten zuständig. 

Topgyal Tsering, der schon seit vielen Jahren ein wichtiges Verbindungsglied zwischen der Tibet-Initiative-Kempten und der Flüchtlingssiedlung darstellt, hat inzwischen einen Verein ins Leben gerufen, die „Tibetan Phensem Society“, damit alle eingesetzten Geldmittel offiziell verbucht werden können. Mit Topgyal oder auch mit seinem Sohn Namdak sind wir, Christina, Isolde und ich, die nächsten Tage unterwegs um verschiedene Projekte zu besichtigen – Kindergarten, hier „Baby Room“ genannt, Community Halls, Wasserpumpen und Tanks und auch um für einen Kindergarten Spielsachen einzukaufen. Von diesem Kindergarten möchte ich kurz erzählen. 

Wir betreten den Hof einer Community Hall auf dem sich ein paar Kinder tummeln. Auf unsere Frage nach dem Baby Room stürmen sie in einen drei Mal drei Meter großen Raum, in dem sich eine Frau mit weiteren Kindern aufhält. Wir machen schon erstaunte Gesichter als wir hören dass das der Kindergarten sein soll, aber als wir dann hören, wie groß die Kindergartengruppe ist, sind wir platt – 23 Kinder besuchen den Kindergarten. Klar, der Hof ist groß und bietet sich zum Spielen an, aber wohin bei Mittagshitze oder Regenwetter?

Allerdings ist Abhilfe in Sicht. Mit Hilfe einer 500-Euro-Spende konnte bereits auf einem freien Platz das Fundament für einen neuen Kindergarten gelegt werden. Nun hofft natürlich das Camp 3 auf weitere Spenden um das Projekt “Baby Room“ weiter voranzubringen.

Saspochey  2

Meine beiden "Patenkinder" (in Anführungszeichen weil sie über das Kindesalter längst hinaus sind) habe ich bisher leider nicht treffen können. Tsering hat mir eine Nachricht geschickt,  dass sie wegen Prüfungen erst am 6. nach Leh kommen kann und Eshey dann am 15. Juni. 

Am 9. ruft Tsering dann endlich an und wir treffen uns bei ihrer Schwester.  Den Grund für ihre dreitägige Verspätung ist recht kurios. Sie ist von Uttarakhand, wo sie studiert, nach Jammu zu ihrer Schwester Eshey gefahren. Dort hat sie den lokalen Markt besucht um Gemüse einzukaufen. Als sie an einen Marktstand tritt  spürt sie einen stechenden Schmerz am Wadenbein. Ein Affe hat sie ins Bein gebissen, und zwar recht ordentlich, mit der Folge dass sie ins Krankenhaus muss und eine ganze Reihe von Spritzen bekommt. Das lange Sitzen auf der Fahrt nach Leh war aber dann offensichtlich fast noch schmerzhafter als der Affenbiss. 

 

Ich habe mir für die letzten Tage in Ladakh ein Motorrad gemietet um vielleicht noch an den Pangong See zu fahren. Doch der Himmel ist derzeit stark bewölkt und die Zeit ist auch knapp. Daher fahre ich mit Tsering, die sich auf ihre erste Fahrt auf einem Motorrad freut, für zwei Tage nach Saspochey zu ihrer Großmutter. Nach den ausgefüllten und manchmal auch anstrengenden Tagen genieße ich die paradiesische Oase Saspochey.