Kathmandu - Bhimkhori

 

Aus Baseri zurück verbringe ich wieder mal ein paar Tage in Kathmandu. Ich treffe Shyam, der sich ehrenamtlich um die Belange einiger Schulen in der Gemeinde kümmert und die Sponsorengelder entsprechend einsetzt. Er kennt die Verhältnisse in der Higher Secondary School in Bhadaure und schlägt vor, mit dem inzwischen aus Deutschland eingetroffenen Spendengeld von meinem Freund Hans-Jörg Türen und Fenster für das oberste Stockwerk anzuschaffen und, falls noch möglich, Whiteboards (Tafelersatz) zu kaufen.

 

Am 22. findet wieder eines der zahlreichen nepalesischen Feste statt – Holi, das Fest der Farben. Mit diesem alten hinduistischen Fest wird der Winter verabschiedet und der Sommer begrüßt. An dem Tag sind alle auf der Straße um Holi zu „spielen“. Das Spiel besteht darin, sich gegenseitig mit buntem Pulver zu beschmieren oder auch mit gefärbtem Wasser zu bespritzen und sich „Happy Holi“ zu wünschen. Im Hotel haben wir nur rotes Pulver und gegen Mittag ist nahezu jeder ein Rotgesicht. Ich nehme eine gründliche Dusche, denn Gauri hat versichert, wenn wir ohne Farbe im Gesicht auf die Straße gehen würden, bedeute dies, dass wir nicht mitspielen und von den Farbattacken verschont blieben. Aber schon nach wenigen Minuten treffen wir auf Leute die diese Regel wohl nicht kennen und nach dem dichten Gedränge auf dem Durbar Square, wo Musik spielt und die Menschen ausgelassen tanzen, sind wir genauso eingefärbt wie die anderen. Die Touristen scheinen das Spektakel am meisten zu genießen und ähnliche Farbenfestivals gibt es ja inzwischen bei uns auch.

Am 24. April treffe ich in Amalbas (Ortsteil von Bhimkhori) ein und sehe, dass sich dort in der Zeit meiner Abwesenheit einiges verändert hat. Mandhoj und Shyam und ebenso die Nachbarsfamilie haben neben dem alten, erdbebengeschädigten Wohnhaus einen Neubau errichtet, bei dessen Anblick ich zunächst einmal sprachlos bin. Um das Gebäude erdbebensicher zu gestalten wurde ein Skelett aus Eisenträgern errichtet die im Boden einbetoniert sind. Ringsherum zieht sich ein kniehoher Sockel aus Natursteinen und die Wände darüber sowie Türen und Fensterläden sind – aus Blechplatten! Naja, es ist das erste Mal dass ich ein Haus aus Blech sehe. Der Fußboden des oberen Stockwerkes ist aus einer Lage Bambus gefertigt auf die eine zehn Zentimeter dicke Schicht aus festgestampftem Lehm aufgebracht wurde. Wenn ich das richtig sehe, dürften das zwischen zwei und drei Tonnen Gewicht sein die ich bei einem Erdbeben lieber nicht über mir hätte. Schöner wäre natürlich ein Holzhaus, doch Holz ist, abgesehen vom gesammelten Brennholz, absolute Mangelware und Bäume dürfen nur mit behördlicher Genehmigung gefällt werden. Auch Bretter sind nicht einfach zu bekommen, es sei denn man sägt sie selbst mühsam von Hand.

      

Als ich am nächsten Tag in die Schule komme werde ich von allen Seiten herzlich begrüßt und Uper Singh  strahlt über das ganze Gesicht als ich ihm den mitgebrachten CD-Player und den Bluetooth-Lautsprecher sowie die gekauften CD’s und aus dem Internet geladene Audiodateien überreiche. Nachmittags treffen noch einige Gemeindevertreter im Lehrerzimmer ein, die sich erfreut über die geplante Investition äußern und sich bei den Spendern und mir bedanken. Damit ist soweit alles geklärt, andere Wünsche sind vom Tisch und Shyam wird, sowie er von seinem Everest-Treck zurückkommt, den Auftrag für die nötigen Arbeiten geben. In der Schule gibt es im Augenblick für mich nichts zu tun da in allen Klassen die Prüfungen abgehalten werden und danach stehen zwei Wochen Ferien an.

Einen Tag helfe ich der Familie noch bei der Kartoffelernte. Da der Boden sehr steinig und hart ist kommen Hacken mit einem kurzen Stiel zum Einsatz und nicht wie bei uns üblich Spaten. Das Gros der Kartoffeln hat die Größe von Pflaumen und der Rest ist kleiner. Seit sechs Monaten ist kein Regen mehr gefallen, deshalb ist alles was jetzt zur Ernte ansteht nicht gut gewachsen. Der Gewitterschauer zwei Nächte vorher kam zu spät und war auch nicht sehr ergiebig.

Auf der Busfahrt nach Kathmandu am nächsten Tag regnet es zwar streckenweise kurz, aber angesichts der Trockenheit ist es nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Als wir, Manhojs Frau, Nanu, Uper Singh, zwei der Kinder und ich in Kathmandu aussteigen um mit einem Minibus in die Stadt zu gelangen, erleben wir eine Überraschung. Von einer Sekunde auf die andere kommt ein Sturm auf und dann sehen wir eine riesige Wand aus Sand und Staub auf uns zukommen. Alle wenden sich ab und versuchen Augen, Mund und Nase zu schützen. Nach ein paar Schrecksekunden rennen wir zu einem stehenden Taxi und quetschen uns zu siebt samt Gepäck in den Kleinwagen. Am nächsten Tag lese ich in der Zeitung, dass sechs Menschen durch umherfliegende Trümmer verletzt wurden. Besonders getroffen hat es aber die vielen Menschen, die immer noch in den notdürftigen Behausungen aus  Plastikplanen leben.

Hilfe für ein arg gebeuteltes Land

In Kathmandu treffe ich immer wieder Menschen die aus dem gleichen Beweggrund hierher gekommen sind wie ich – sie wollen den Menschen im Land helfen. Helfer die tatkräftig zupacken waren sicher in der ersten Zeit nach dem Erdbeben gefragt. Jetzt ist finanzielle Hilfe angesagt, ob für Kinderheime, den Bau von Wasserversorgungen oder für den Wiederaufbau von Gebäuden. In diesem letzten Punkt liegt noch vieles im Argen. Auf einer Fahrradtour durch die Stadt  sehe ich immer noch die Zelte auf freien Plätzen, in denen Familien nunmehr seit einem Jahr hausen. 

Das Thema Wiederaufbau ist in der Presse allgegenwärtig. So wird über den Stand der Schadensfeststellung berichtet, die immer noch nicht überall abgeschlossen scheint, über die zu erwartende Hilfszahlung, die wohl in drei Schritten ausgezahlt werden soll und pro Haushalt etwa 1600 Euro betragen soll, oder über die Schwierigkeiten der Schüler, die sich in den Notunterkünften auf die momentan laufenden Prüfungen vorbereiten sollen. 

Angesichts der mannigfaltigen Probleme stellt sich jeder Helfer die Frage, inwieweit sein Beitrag wohl nützlich ist. Dazu fällt mir dann immer eine kleine Geschichte ein die ich gelesen habe und die ich dann auch erzähle: 

Eines Nachts kam ein furchtbarer Sturm am Meer auf. Der Sturm tobte stundenlang und meterhohe Wellen des Meers brachen sich gewaltig am Strand.

Bis zum Morgen ließ das Unwetter langsam nach und der Himmel klarte sich wieder auf. Am weiten Strand lagen jedoch unzählige Seesterne, die vom Sturm an den Strand geworfen waren.

Ein kleiner Junge lief am Strand entlang und nahm sehr behutsam Seestern für Seestern in seine Hand. Vorsichtig warf er sie wieder ins Meer zurück.

Da kam ein alter Mann am Strand entlang. Er sah den Jungen an und sprach: "Ach lass das doch, du kannst ja doch nicht alle retten."

Der kleine Junge schaute den alten Mann an und sagte: "Vielleicht kann ich nicht alle retten. Aber für den einen verändert sich die ganze Welt!" und warf den nächsten Seestern behutsam zurück ins Wasser.

(aus "Entdecke dein Gehirn", Porter)

 

Ich denke, eins ist ganz wichtig zu wissen. Es muss nicht immer die große Hilfsaktion sein. Auch ein paar tausend Rupien einem Schüler als Beitrag zum Schulgeld zugesteckt oder ein paar Scheine für ein altes Ehepaar das mit Ziegen und Büffeln zusammen wohnt weil ihr Haus nicht mehr sicher ist, können für diese Menschen die Welt ein wenig verändern. Noch besser ist natürlich eine nachhaltige Hilfe wie die Anschaffung von Schulmöbeln, Lehrmitteln oder Gebäudeteilen. Zu dieser kleinen Veränderung der Welt hat jeder mit seinem Spendenanteil beigetragen.

 

Doch wo bleiben die Milliarden von Dollars die bei so einer Katastrophe gewöhnlich fließen?

Am 3. September 2015 schrieb der SPIEGEL ONLINE:

 

Am 12. April treffe ich wieder in Bhimkhori / Amalbas ein, denn am 14. Soll laut Uper Singh die Schule wieder beginnen. Doch den Kindern im Haus ist davon nichts bekannt, aber wahrscheinlich sei jetzt „Admission“, was soviel heißt wie Schuleinschreibung. Am 15. marschiere ich dann mal zur Schule hoch wo ich hoffe, genaueres zu erfahren. Einige Lehrer begrüßen mich freudig im Lehrerzimmer, von Schülern keine Spur. Ich lasse mich aufklären, dass die Admission 10 Tage dauere, alle Schüler ob alt oder neu würden angemeldet, die Schulbücher würden ausgegeben und ein kleiner Obulus sei von den Eltern zu entrichten. Also sollte der Unterricht am 24. beginnen.

Mandhoj hat mich schon bei meiner Ankunft zu einem dreitägigen Ausflug nach Halesi eingeladen. Halesi ist ein sowohl bei Buddhisten als auch Hindus bekannter und beliebter Pilgerort und da ich bei der Schuleinschreibung eh nichts zu tun habe, steht der Unternehmung nichts im Wege. Am Dienstag gehen wir vormittags nach Deurali, wo sich uns Manbhadur, ein Nachbar, anschließt. Nach zwei Stunden Wartezeit kommt dann der rappelvolle Bus. Meine Begleiter drängen sich in den Mittelgang, ich ziehe wegen der Stehhöhe und der frischen Luft einen Stehplatz unter der offenen Einstiegstüre vor, auch wenn es hier noch staubigen ist als drinnen. Manbhadur hat während der Fahrt immer seine Hand auf meiner Schulter, entweder um sich festzuhalten oder um mich am Hinausfallen zu hindern. Im Tal an der Hauptstraße angekommen, versucht Mandhoj ein Fahrzeug in Richtung Khurkot anzuhalten. Tatsächlich nimmt uns auch ein Tata-Jeep mit, der jetzt mit elf Personen ziemlich ausgelastet ist. Nachmittags um drei sind wir in Khurkot und wieder heißt es warten, denn der Bus nach Halesi wird erst um sechs Uhr fahren. Die erste Hälfte der Fahrt verläuft dann recht angenehm auf einer, angeblich von Japan, gut ausgebauten Landstraße. Der Rest ist dann wieder mehr oder weniger übler Schotterweg, teilweise geht es durch trockene Flussbette weil die Brücken gerade im Bau sind und die Straße ist gerade breit genug für ein Fahrzeug. Doch zu dieser Tageszeit ist kaum Verkehr in die Gegenrichtung und so kommen wir wenigstens ohne längere Aufenthalte gut voran. Nachts um eins treffen wir in Halesi ein, der Fahrer stoppt auf dem Dorfplatz unter einem Baum und verkündet sinngemäß: Alle Hotels sind schon geschlossen und ihr müsst im Bus übernachten. Im vollen Bus auf einem unbequemen Sitz zu schlafen kommt nicht in Frage. Ich habe wie immer meinen leichten Schlafsack im Rucksack und mache mich gleich auf die Suche nach einem geeigneten Plätzchen. Vor einem abgesperrten Kiosk steht wie bestellt eine etwas breitere Sitzbank die ich nur noch etwas abstauben muss. Schlafsack und Rucksack als Kopfkissen drauf und fertig ist meine Schlafstatt. Um vier Uhr werde ich von ein paar grunzenden kleinen Schweinchen und den ersten Frühaufstehern geweckt. Immerhin habe ich ein wenig schlafen können, Mandhoj und Manbhadur haben im Bus kein Auge zubekommen.

Um sechs Uhr sind wir dann bei den schon gut besuchten Pilgerstätten. Vor dem Eingang finden sich die üblichen Verkaufsstände. Mandhoj ersteht für jeden von uns ein Körbchen mit den Opfergaben, Räucherstäbchen, Blumen, Süßigkeiten, Girlanden und einer Kokosnuss, die dann an den richtigen Orten dargebracht werden müssen. Die heiligen Stätten befinden sich in zwei großen Höhlen und hier wird wieder einmal mehr deutlich, dass die Grenzen zwischen Buddhismus und Hinduismus hier in Nepal ziemlich fließend sind. Nachmittags wandern wir zur anderen Seite eines mit Gebetsfahnen überzogenen Hügels wo ein Lama neben einer besonderen Buddhastatue seine Tage mit Gebeten verbringt. 


Am nächsten Morgen wache ich mit Magenproblemen auf, die ich vermutlich einem ziemlich öligen Spiegelei vom Vortag zu verdanken habe. Der Heimreise sehe ich mit gemischten Gefühlen und vorsichtshalber leerem Magen entgegen. Sieben Stunden im Bus zu sitzen und nie zu wissen ob die nächste Pause rechtzeitig kommen wird kann ziemlich unangenehm sein. Aber ich überstehe die Fahrt bis zur Mittagspause ohne Sonderstopp und um zwei Uhr sind wir dann in Biple, der Ortschaft unterhalb von Amalbas im Tal. Hier heißt es wieder einmal zu warten und zu hoffen, dass noch ein Truck Richtung Deurali auf den Berg fährt. Mandhoj versichert zwar dass noch ein Fahrzeug kommen würde, doch nach zwei Stunden bin ich das Rumsitzen satt und ich mache mich mit durchhängendem Magen zu Fuß auf den Weg. Nach zweieinhalb Stunden bin ich in Amalbas, genieße die Dusche und freue mich auf mein Bett. Mandhoj und Manbhadur erwischen tatsächlich noch einen Truck und treffen zwei Stunden später ein. 

Am 24. Ist dann tatsächlich Schulbeginn, aber doch nicht so ganz richtig. Die meisten Lehrer sind im Lehrerzimmer mit Stundenverteilung und Planung beschäftigt, ein paar wenige sind in ihren Klassen, doch die meisten Schüler sitzen untätig in ihrem Klassenzimmer. Da Uper Singh noch in Kathmandu ist besorge ich mir die Englischbücher für die Klassen 9 und 10 um dort zu unterrichten. In beiden Klassen sitzen die Schüler dicht gedrängt auf ihren Bänken. Wenn hier alle anwesend sind ist die Klassenstärke bei 84 bzw 98 Schülern. Halbwegs vernünftiger Unterricht ist da ziemlich aussichtslos. Aber die Kollegen haben tatsächlich die Teilung der Klassen im Auge und in der Pause sprechen wir nochmals über das Problem. Ab dem nächsten Tag gibt es dann je zwei – immer noch sehr große – Klassen 9 und 10. Während ich jetzt in vier Klassen unterrichte sind einige der Kollegen noch zwei Vormittage lang mit dem nun komplizierter gewordenen Stundenlang beschäftigt.


Am zweiten Schultag findet nachmittags im Hof eine Informationsveranstaltung für die Eltern statt bei der auch alle Schüler anwesend sind. Einige der Lehrer stellen das Jahresprogramm vor und auch die Vertreter der Elternschaft und der Gemeinde kommen zu Wort. Dabei bedanken sie sich bei mir für mein Engagement an der Schule und bei meinem Freund Hans-Jörg für dessen finanzielle Unterstützung und ich bekomme zwei schöne Urkunden für uns beide überreicht.